Vortrag von Elyas Kamp.
Gehalten am Donnerstag, den 10. März 2016.
Ankündigungstext:
"Depression im Kapitalismus
Reinhard Mohr schrieb in einem Nachruf
auf die „Modekrankheit“ „Burn-out ist out!“. Im Trendcheck
gelangt er zum Ergebnis, dass Top-Manager in ihrer Rolle als „Helden“
abgedankt hätten. Dumm ist derjenige, der heute nicht auf seine
Work-Life-Balance achtet, denn „einige Helden der selbstbestimmten
Arbeit verfassen im Büro nebenbei eine Magisterarbeit oder nutzen
jede freie Minute, um an der Komposition ihrer ersten Symphonie
weiter zu arbeiten oder den nächsten Sommerurlaub auf Sardinien zu
planen.“ Dem nächsten Manager, der sich in Hong Kong aus dem
Fenster wirft, kann man also getrost nachrufen, dass er mit einem
Orden nicht zu rechnen hat – hätte sich ja auch mal eine Stunde
ans Piano setzen können. Klappt die Selbsthilfe nicht mehr, bringt
der Verhaltenstherapeut die Zauberformel „Work-Life-Balance“ in
den Phrasen der Autosuggestion auf den Punkt; fest steht: es kommt
auf dich an!
Jedoch steht für alle fest, dass es
auf sie nicht ankommt: Als Arbeitskraftbehälter ist jeder
austauschbar – potentiell überflüssig, weil Maschinen übernehmen
können, was wir am Markt feilbieten. Die Produktivkraftsteigerung
würde eine Abkehr von dem Mühsal der Lohnarbeit ermöglichen. Der
Zwang sich zu verdingen, um seinen Lebensunterhalt zu stemmen, hält
an, wenngleich die Umstände dies überhaupt nicht verlangen. Längst
lebt ein erheblicher Teil der Menschen von Leistungen des Staates,
sei dies nun in Form von direkten Transferleistungen oder Jobs, die
die reine Untätigkeit zementieren. Auf Gedeih und Verderb sind diese
dem Wohlgefallen des Staates ausgeliefert, sie hängen ihm an und
werden verwaltet. Das Hauen und Stechen auf dem Markt bildet sich
hier fort.
ManagerInnen und TransferempfängerInnen
mögen sich in ihrer finanziellen Lage unterscheiden, einen tut sie
jedoch tägliche Erfahrung, in einer verwalteten Welt zu hausen, die
sie in völligem Gehorsam gegenüber der Ökonomie zwingt sich zu
verdingen. Was in der Work-Life-Balance zur Parole wird, ist blanke
Ideologie, die die Last gesellschaftlicher Verhältnisse auf die
Einzelnen abwälzt. Die Kränkung des Ichs, welche sich in
Schuldgefühlen gegen die Einzelnen richtet und in der Depression
kulminieren, werden in der Verhaltenstherapie als Scheitern des
Individuums attestiert, wo deren gesellschaftliche Ursache zu
bekämpfen wäre.
Zieht man der Psychoanalyse den Stachel
der Gesellschaftskritik, verkommt sie zum Instrument einer Welt der
Knechtschaft. Eine Welt der Hiebe, die den Einzelnen die Versagung
aufdrängt und zum Scheitern Verurteilt, weil sie gut daran tut,
jegliche Blick auf einen Ort jenseits des Opfers zu verstellen. In
ihr war die Zukunft gestern und heute ist morgen, weil sie nur einen
Ausblick ermöglichen will: Herrschaft auf Dauer, Schrecken ohne
Ende!"